Ein paar Jahre später
Monika geht inzwischen völlig in ihrem Beruf auf. Sie nimmt sich für jeden Zeit, schaut nicht auf die Uhr und engagiert sich über alle Maßen. Nebenbei ist sie sowohl ehrenamtlich in der Schule als auch im Kindergarten der gemeinsamen Kinder aktiv. Aber sie möchte auch über die Grenzen hinaus Gutes bewirken und hat so im Rahmen ihrer Tätigkeit bei einer Fluggesellschaft auch noch ehrenamtlich die Projektleitung eines Programms übernommen, welches eine Schule in Indien aktiv unterstützt. Für sie alles kein Problem. Sie fühlt sich gut damit, auch wenn ihr immer öfter die Energie für „Haus und Hof“ fehlt.
Das geht Martin mittlerweile gehörig auf den Zeiger. Sie hatten von Anfang an darauf geachtet, dass sie sich die Aufgaben im Haushalt gleichmäßig aufteilen. Das hat auch immer gut funktioniert. Inzwischen muss er allerdings immer öfter „Extra-Schichten“ bei der Hausarbeit einlegen, da seine Frau ihre Zeit lieber für andere investiert und vieles liegen bleibt.
„Monika, jetzt mal ehrlich. Du hast seit Tagen nicht mehr gewaschen. Den Kindern hast du wieder irgendeinen Tiefkühl-Mist zu essen gegeben, und wir hatten schon ewig keinen gemeinsamen Abend mehr.“
Monika ignoriert Martins Vorwürfe und berichtet mit leuchtenden Augen, wie glücklich die Kinder in Indien über die neuen Schulsachen sind. „Ist das nicht toll? So vielen Menschen helfen zu können? Ach ja, und heute ist Elternabend. Da sitze ich als Mediator zwischen den Eltern und den Lehrern. Aber wir finden bestimmt eine gute Lösung.“
Martin schaut sie völlig entgeistert an: „Dir ist schon klar, dass unsere Familie wichtiger ist als irgendwelche Probleme auf der Welt, die wir eh nicht lösen können? Und mal ganz ehrlich, was gehen mich die Streitereien zwischen Eltern und Lehrern an, solange du keine Zeit für das Wesentliche hast?“
Monika ist entsetzt: „Weißt du, du wirst immer mehr wie die Menschen, die sagen ‚geht mich nichts an‘ und maximal vor der eigenen Haustür kehren. Ich ertrage ein solch egoistisches Verhalten nicht. Wenn das jeder machen würde, wäre die Welt im Eimer.“
Martin ist beleidigt. „Du bezeichnest mich als Egoisten, nur weil mir das eigene Glück wichtiger ist als der Weltfrieden, der eh nicht kommt? Du kannst nicht Mutter Teresa für alle sein.“
Stille. Und dann verschwindet jeder in einen anderen Teil des Hauses. Türen knallen.
Idealismus vs. Realismus
Schlecht gelaunt geht Martin am nächsten Tag zu seinem Fußballtraining. Er kickt mehr oder weniger lustlos mit dem Ball rum. Seine Kumpels kennen ihn so gar nicht. Normalerweise ist er der Spielführer. Beim abschließenden Bierchen sprechen sie ihn darauf an.
„Nun mal raus mit der Sprache. Was ist dir denn über die Leber gelaufen?“ „Ach Mensch, früher fand ich das ja toll, wie engagiert und mitfühlend Monika ist, aber ich finde echt, sie übertreibt es allmählich. Es macht mich wütend zu sehen, dass sie für alles und jeden Zeit hat und bei uns zu Hause alles liegen lässt.“
Thomas setzt sich zu ihm: „Petra und ich hatten auch mal ziemliche Schwierigkeiten und sind dann auf Steven Reiss gestoßen. Sagt dir das was?“ Martin schüttelt den Kopf. „Steven Reiss fand heraus, dass unserem Verhalten 16 Lebensmotive beziehungsweise Grundbedürfnisse zugrunde liegen. Sie prägen dich wie eine DNA. Bei uns war das zum Beispiel so, dass ich total viel Bewegung brauche, während es für Petra wichtig ist, einfach mal stundenlang auf der Couch abzuhängen. Für mich ein Unding! Aber seit ich verstanden habe, dass wir da super unterschiedliche Bedürfnisse haben und sich das nicht ‚weg machen‘ lässt, hat sich vieles verändert. Ich würde an Eurer Stelle mal das Reiss Motivation Profile® machen und schauen, wo es bei Euch klemmt.“
Gesagt, getan.
Bei der Auswertung lernten Monika und Martin unter anderem ihre intrinsische Neigung hinsichtlich Idealismus kennen – und wissen nun, warum sie in diesem Bereich immer stärker aneinandergeraten.
Als Idealistin liegen Monika soziale Gerechtigkeit und das Wohlergehen der Menschen sehr am Herzen. Sie möchte helfen, wo es nur geht – bis zur Selbstlosigkeit. Realisten bedauern ebenfalls die soziale Ungerechtigkeit, sehen es aber nicht als ihren Auftrag, daran etwas zu ändern. Sie legen den Fokus auf ihre eigene kleine heile Welt.
In ausführlichen Gesprächen fanden Monika und Martin eine Lösung für sich. Monika wird sich von einem Ehrenamt trennen, Martin hingegen unterstützt die Organisation der Lieferungen nach Indien. Heute schätzen sie wieder die Art des anderen wie zu Beginn ihrer Beziehung und erleben sie als Bereicherung.