Friedensmensch oder Fußabtreter?
„Barbara ist eine so tolle Arbeitskraft, aber sie lässt sich immer mehr in die zweite oder dritte Reihe schieben. Wir haben da jetzt die Neue, die lässt keine Situation aus, Barbara zu kritisieren und sogar massiv zu provozieren. Ständig will sie die Beste und Tollste sein und nutzt Barbaras zurückhaltende Art komplett aus. Ich verstehe einfach nicht, wieso Barbara das mit sich machen lässt“, strömen die Worte und Emotionen aus Etta heraus. „Ok, sie hatte schon immer ihre Probleme mit Kritik oder wenn ihr mal ein Fehler unterlaufen ist. Sofort dachte sie dann, keiner hätte sie mehr lieb. Oft war sie dann tagelang niedergeschlagen und wurde unsicher. Dabei hat sie dazu als kompetente Fachkraft gar keinen Anlass. Sie schwänzt sogar inzwischen ihre Jahresgespräche beim Chef. Ich muss dann immer zu ihr gehen und sie ermutigen. Aber das kann doch keine Lösung sein. Am liebsten mag sie es, wenn ihr alle zeigen, dass sie sie mögen und großen Respekt vor ihr haben. Aber wir sind hier doch nicht bei ‚wünsch dir was‘. Sie engagiert sich auch immer weniger. Als hätte sie Schiss, dass wenn sie unter dem Radar läuft, sie keine auf den Deckel bekommt.“
„Hmmm“, macht Gabriel und kramt in seinem Rucksack. Heraus holt er das RMP-to go: „Was uns motiviert“ und blättert darin. Als großer Fan hat er das Büchlein immer bei sich. Bei dem Lebensmotiv Anerkennung hält er inne. „Menschen mit einem starken Bedürfnis nach Anerkennung sind empfindlich gegenüber Kritik, Zurückweisung oder dem eigenen Versagen. Von anderen anerkannt und geschätzt zu werden, ist sehr wichtig für sie. Konflikte werden – wenn möglich – vermieden“, zitiert er.
„Ja, das passt. Aber wenn ihr doch so wichtig ist, anerkannt zu werden, wieso zeigt sie dann nicht erst recht, dass sie was draufhat? Wieso lässt sie sich von der Neuen so unterbuttern? Ich denke, dem Chef würde es auch gefallen, wenn sie sich wehren würde und seine Meinung ist doch wirklich wichtiger als die der Intrigantin!“, regt sich Etta weiter auf.
Gabriel begibt sich erneut in die Lektüre. „Schau mal hier“, liest er weiter. „Menschen mit einem geringen Bedürfnis nach Rache, gehen Konflikten lieber aus dem Weg. Es widerstrebt ihnen, mit anderen im Wettstreit zu stehen oder zu streiten – das Prinzip der Harmonie liegt ihnen weitaus mehr.“
„Da könnte was dran sein. Eine gefährliche Mischung. Also geht sie wohl aus zwei Motiven heraus in die Defensive. Ich glaube, ich muss sie mal unter einem Vorwand bitten, das Reiss Motivation Profile® selbst zu machen. Bin mal gespannt, was dabei herauskommt.“
Gnothi seauton – erkenne dich selbst
Bei einem Essen in der Kantine nimmt Etta all ihren Mut zusammen und geht zu Barbara, die verhuscht alleine an einem Tisch sitzt. Da sich die beiden Kolleginnen sehr gut verstehen, erzählt Etta frei von der Leber, was für Probleme sie und Gabriel hatten und wie ihnen ein Persönlichkeitstest geholfen hat. Um Barbara den Test noch schmackhafter zu machen, erzählt sie zusätzlich, wie sehr dieser ihr geholfen habe, sich selbst besser zu verstehen. Da er Dank der App sehr einfach zu machen sei, sollte Ettas Auffassung nach jeder diesen machen. Barbara stimmt zu und geht am Abend die 128 Fragen durch. Der integrierte Avatar erläutert ihr die Ergebnisse.
Wenige Tage später putzt „die Neue“ Barbara mal wieder vor allen anderen herunter und diese lässt es wie üblich über sich ergehen. Am Ende des Arbeitstages sucht Etta Barbara auf und spricht das Thema an: „Barbara, ich kann mir das nicht länger ansehen. Wieso lässt du das mit dir machen?“ Die Kollegin ist erstaunt über die ehrlichen Worte. „Was kam denn bei deinem RMP raus? Kann es sein, dass dein Motiv Anerkennung stark ausgeprägt und dein Rachebedürfnis hingegen niedrig ausfällt?“ Barbara ist jetzt baff. „Ja, richtig, so ist das. So bin ich.“
„Du weißt, dass man in einem kleinen Rahmen üben kann, seine Motive zu modulieren? Wenn du magst, unterstütze ich dich als Freundin dabei. Aus dir wird zwar nie ein Racheengel werden, dem die Meinung anderer egal ist, aber vielleicht schaffen wir einen kleinen Schritt in die Richtung.“
